Jung und unter Druck – Aus dem Leben angehender Musikprofis

von Peter Steinert (03.01.2023)

Besonders der Start in die Musikkarriere kann für viele junge Menschen herausfordernd sein. Neben Probenstress und dem ständigen Druck, genug zu üben, können auch Vorspielangst und Konkurrenzgedanken den musikalischen Alltag bestimmen. Wieso nehmen junge Leute das alles auf sich und wie gehen sie damit um? Ein Gespräch über Leistungsdruck mit fünf angehenden Berufsmusikerinnen und -musikern.

Vom Musikmachen leben können – das ist der Berufswunsch vieler junger Menschen. Doch auf dem Karriereweg gibt es viele Herausforderungen, die die mentale Belastbarkeit der angehenden Musikprofis auf die Probe stellen. Einzelunterricht, Vorspiele, persönliches Üben und gemeinsame Proben: Ein normaler Uni-Tag von Musikstudierenden ist oft von vorne bis hinten durchgeplant – die meiste Zeit davon an ihrem Instrument. Dazu kommen oft noch Theorie-Seminare, für die natürlich auch gepaukt werden muss. Wie lässt sich dabei trotzdem ein kühler Kopf und vor allem auch der Spaß am Musizieren behalten?

Charlotte Reitz ist 24 Jahre alt und studiert Cello an der Hochschule für Musik und Theater Rostock. Für sie ist klar: Am liebsten würde sie später einmal eine der begehrten Orchesteranstellungen bekommen. Um diesem Ziel näherzukommen, übt sie pro Tag etwa vier Stunden – dazu kommen noch Proben von diversen Ensembles und Projekten. In vollen Wochen können das dann schon einmal insgesamt acht Stunden pro Tag am Instrument sein. Viel Zeit oder Energie für andere Dinge bleibt da nicht mehr.

Ähnlich geht es Lukas Höffler (Name von der Redaktion geändert). Er ist 21 Jahre alt und studiert Trompete an einer deutschsprachigen Hochschule im Ausland. Auch er möchte später in einem Orchester spielen und übt dafür neben seinen Ensemble-Proben am Tag drei bis vier Stunden allein. Früher sei das noch mehr gewesen, doch irgendwann reiche diese Art des Übens nicht mehr aus. „Der Fokus verschiebt sich darauf, was man auch mit dem Kopf tun kann. Und eben nicht nur am Instrument selbst“, erzählt er. Viele Unterrichtsklassen würden sich rein auf die Technik am Instrument konzentrieren. Doch Lukas investiert inzwischen jeden Tag auch etwa anderthalb Stunden in alternative Übungen. Etwa könne sich ein Stück besser in das musikalische Gedächtnis einprägen, wenn man es beim Üben zur Abwechslung auch mal singe. Atemübungen seien ebenfalls wichtig für ein nachhaltiges Training. Und zu guter Letzt dürfe der mentale Ansatz nicht unterschätzt werden. Neben täglicher Meditation bestehe dieser bei ihm auch aus der Konfrontation mit unterbewussten Ängsten, die in besonderen Stresssituationen zu Auftrittsangst führen könnten. Um sich von negativen Glaubenssätzen zu lösen, bietet sich also auch therapeutische Hilfe an.

Lukas und Charlotte müssen beide regelmäßig vor ihren Kolleginnen und Kollegen im Studium vorspielen. Durch diese verpflichtende regelmäßige Auftrittssituation können sie ihre persönlichen Strategien trainieren, um möglichst gut mit dem Stress und der Aufregung umzugehen. Für Vorspielsituationen hat Charlotte zwei ganz konkrete Tipps: „Mir hilft es immer, am Morgen vor einem Auftritt joggen zu gehen. So baut mein Körper schon mal Adrenalin ab, mein Puls geht hoch und später beim Auftritt ziehen sich meine Muskeln nicht so durch die Aufregung zusammen. Dadurch bin ich auf der Bühne entspannter und kann sensibler spielen.“ Generell helfe ihr Sport und Yoga als körperlicher Ausgleich zu den einseitigen Bewegungen des Instrumentenspielens. Eine weitere Strategie sei es außerdem, sich immer wieder einen eigenen, besonders guten Auftritt aus der Vergangenheit ins Gedächtnis zurückzurufen – in Vorspielsituationen sowie regelmäßig im Alltag. So speichere der Kopf das gute Gefühl auf der Bühne ab und könne es auch auf den neuen Auftritt projizieren.

Wenn man allerdings auch kurz vor dem Auftritt noch nicht sicher genug in einem Stück ist, bringe es nichts, sich noch im größten Stress durchzuquälen, meint Charlotte. Letzten Endes sei das kontraproduktiv für das Ergebnis – auch diese Erfahrungen im Umgang mit Stress muss man machen. Angebote zur Entwicklung mentaler Übestrategien sowie zu Auftrittstraining gebe es zwar in ihrem Studium, allerdings größtenteils nur auf freiwilliger Basis.

Lukas hat auf jeden Fall mit der Zeit gemerkt, wie ihn die mentalen Übungen sicherer im Vorspiel werden ließen. Und mit diesen Erfolgserlebnissen festigt sich nicht nur die Sicherheit, sondern auch die Freude am Spielen. Über seine Entscheidung, Berufsmusiker werden zu wollen, erzählt er: „Klar gibt es manchmal etwas stressigere Zeiten, in denen ich neben der Musik nicht mehr viel Anderes am Tag machen kann. Aber eigentlich gefällt mir das so. Das Üben ist zu 90 Prozent der Zeit spaßig. Und gerade das gemeinsame Musizieren im Orchester ist auch einfach ein berauschender Moment.“ Schon lange wisse er, dass er sich jeden Tag intensiv mit seinem Instrument auseinandersetzen möchte – und das ließe sich eben als Berufsmusiker am besten verwirklichen.

Die Pop-Musikerin metty aus Hamburg ist bereits hauptberuflich Künstlerin und spielt seit letztem Jahr regelmäßig Auftritte. Abseits davon nimmt die 24-Jährige auch über Streamingdienste Geld mit ihrer Musik ein. Für ihren modernen und melancholischen ‚Sad Pop‘-Stil und den authentischen Indie-Charakter ihrer Produktionsweise wurde sie 2021 bereits mit dem Darmstädter Musikpreis ausgezeichnet. Nun, nach der ereignisreichen Open-Air-Saison im Sommer, spürt sie die Auswirkungen der psychischen Dauerbelastung durch die ständigen Drucksituationen besonders stark. „Sich immer wieder zu präsentieren, sich vor Leute zu stellen, vor einem kleinen Publikum zu spielen, für ein falsches Publikum zu spielen, für keine Gage zu spielen… das alles kann einem auch mehr rauben, als so ein Konzert einem gibt“, erklärt sie. Gerade als Newcomerin versuche man alle Erfahrungen und Möglichkeiten mitzunehmen, die sich einem anböten. Allerdings habe der ständige Leistungsdruck und das viele Unterwegssein bei ihr in Kombination mit weiteren Faktoren beinahe zu einem Burn Out geführt. Ständig sei sie krank gewesen und habe Probleme mit ihrer Stimme gehabt. Nach einer Pause ist sie nun wieder erholt und fitter. Und auch für sie gilt: Trotz des Stresses und der Erwartungen, die das professionelle Berufsmusikerin-Dasein mit sich bringt, ist am Ende das Komponieren und Performen auf der Bühne genau das, was sie machen möchte und der Ansporn, sich den Herausforderungen zu stellen. Auch wenn Pausen dabei nicht fehlen dürfen.

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Die gleiche Leidenschaft für Bühnen-Performance und Live-Musik teilt auch Niko Huber. Der 22-jährige Gitarrist aus Rodgau bei Frankfurt spielt mit seiner Alternative Rock-Band Bird’s View sowie verschiedenen Jazz-Projekten insgesamt etwa acht bis zehn Auftritte im Monat. Nebenbei arbeitet er in einem Gitarrenbauladen. „Klar gibt es dann auch mal ein Projekt, das etwas mehr Zeit in Anspruch nimmt“, meint er. „Dann ist man viel unterwegs, spielt Shows, hat Pressetermine und alles... Doch da hab‘ ich voll Bock drauf. Im Tourbus sitzen, durch die Gegend fahren und Mucke machen – das will ich schon mein ganzes Leben lang machen!“.

Früher habe er fünf bis sechs Stunden am Tag für sich Gitarre geübt. „Das ist heute allerdings weniger“, erklärt Niko. Man müsse dabei auch aufpassen: „Ab einem gewissen Punkt ist das auch nicht mehr gesund. Da machen dann die Hände nicht mehr mit oder man holt sich eine Sehnenscheidenentzündung“. Seine Freunde würden alle aus der Musikszene kommen – weswegen er nur schwer eine Grenze zwischen Beruf und Freizeit ziehen könne. Erfolgreichere und größere Musikerinnen und Musiker würden ihn allerdings nicht unter noch größeren Leistungsdruck oder Ängste stellen. „Diese Leute waren für mich schon immer eher inspirierend als einschüchternd“, meint er. „Wenn man kreativ ist, muss man schauen, dass man nicht zu sehr nach rechts und links guckt. Sondern dass man eher sein eigenes Ding macht – geradeaus.“

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Etwas jünger ist noch Arne Zeller aus Mainz. Er ist 16 Jahre alt und studiert als Jungstudent Cello an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig. Gleichzeitig besucht er eine gymnasiale Oberstufe in Mainz. Preise gewann er bereits bei zahlreichen nationalen und internationalen Wettbewerben. Für seinen Alltag ist also eine besonders gute Planung gefragt.

Für seinen Instrumentalunterricht fährt er regelmäßig mit dem ICE vier Stunden nach Leipzig, wo er immer für eine Nacht übernachtet. Hausaufgaben für die Schule finden dabei auch mal auf der Zugreise ihre Zeit. Begleitenden Klavierunterricht sowie theoretische Nebenfächer kann Arne in Mainz beziehungsweise online besuchen. Doch auch für Auftritte im Ausland, Preisträgerkonzerte oder Meisterklassen fallen Schulstunden für den 16-Jährigen aus. „Am Ende ist es eine Organisationsfrage“, meint er. „Bei der Suche nach einer Oberstufe haben wir da schon sehr drauf geachtet und meine jetzige Schule ist auch super unterstützend“. Wie Charlotte und Lukas macht auch Arne gerne Sport als Ausgleich zur Musik.

Spätestens seit Beginn seines Jungstudiums sei er sich „zu 100 Prozent sicher“, Berufsmusiker werden zu wollen. Verbunden mit dem dazu nötigen Aufwand sagt er: „Ich glaube, hätte ich nicht grundsätzlich Freude an meinem Instrument und an der Musik, dann könnte ich das von der Disziplin her auch gar nicht machen. Musik ist für mich das Natürlichste, was es gibt. Sie ist so nah und so ein starker Emotionsauslöser. Musik kann mich sehr direkt treffen.“ Auch er habe inzwischen seine engsten Freunde im Ensemble-Kontext – mit der Musik als gemeinsame Identifikation.

Peter Steinert |

Peter Steinert (geboren 1998 in Frankfurt am Main) studiert Musikjournalismus (MA) an der Hochschule für Musik Karlsruhe. Als Freier Journalist filmt und fotografiert er auf Demonstrationen und betreibt einen Blog über die alternative Musikszene im Rhein-Main-Gebiet. ...

Peter Steinert
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